11. September 2024
Mit welchen Herausforderungen kämpft die Wohngruppe für Intensivpflegebedürftige im Gesundheitscampus? Der grüne Landtagsabgeordnete Erwin Köhler (l.) machte sich davon persönlich ein Bild und packte unter Anleitung von Pfleger Mike Wagner auch selbst mit an. Foto: Angela Portner Samstag, 24. August 2024 „Wenn ein Formular wegfällt, kommen drei hinzu“ Wohngemeinschaften für Intensivpflegebedürftige haben einen ganz besonderen Bedarf – Abgeordneter Köhler verschafft sich einen Eindruck Von Angela Portner Eppingen . Plötzlich ist alles anders: Ein Schlaganfall oder Herzinfarkt, eine schwere neurologische Erkrankung, Verkehrs- oder Badeunfälle bringen den Körper derart aus dem Lot, dass man auf der Intensivstation eines Krankenhauses landet und danach weiterhin eine medizinische Rundum-Versorgung benötigt. Im Gesundheitscampus gibt es für solche Patienten seit März dieses Jahres eine Wohngemeinschaft, in der das speziell ausgebildete Pflegekräfte übernehmen. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Erwin Köhler machte sich jetzt persönlich ein Bild über die derzeitigen Herausforderungen in der privat geführten Einrichtung und packte auch selbst an. Bei Rudolf Grosskinsly musste er das nicht mehr tun – und das ist fast schon ein kleines Wunder. Nach einem schweren Schlaganfall im Januar lag der 64-Jährige monatelang im Koma. „Die Ärzte hatten mich aufgegeben“, weiß er. Weil man im Krankenhaus nichts mehr für ihn tun konnte, wurde er entlassen. Ein Grund zur Freude war das allerdings für niemanden, denn er brauchte nicht nur eine Rundumpflege, sondern musste auch weiter beatmet werden. Und ohne im Haus lebende Angehörige ist das mit ambulanter Versorgung nicht zu stemmen. Deswegen zog er am 7. März als Wachkoma-Patient in die intensivmedizinische Wohngemeinschaft ein. Dank der guten Betreuung und Förderung sitzt er heute aufrecht im Rollstuhl, kann wieder sprechen, stehen und wohl auch bald wieder ein paar Schritte laufen. „Das ist wie Familie“, findet Grosskinsly und lobt, dass es hier ganz und gar nichts zu verbessern gebe. Sophia Lehn, Gründerin und Geschäftsführerin von SL Intensiv Care wäre froh, wenn sie das auch für ihre Arbeit bestätigen könnte. Dabei hat sie mit der Einrichtung im Gesundheitscampus ideale Bedingungen geschaffen: Auf 450 Quadratmeter Fläche stehen den derzeit sechs hier lebenden Patienten nicht nur Einzelzimmer, Bäder und ein gemütlicher Gemeinschaftsraum zur Verfügung, sondern auch ausreichend intensivmedizinisch ausgebildetes Personal, und im Notfall ist einer der im Haus praktizierenden Ärzte in kürzester Zeit vor Ort. Was jedoch fehlt, ist das Geld, um die Patienten optimal und individuell versorgen zu können. Stattdessen würden seitens der Kostenträger immer mehr Forderungen an die Einrichtung gestellt. Das betreffe sowohl die Ausstattung als auch die Anforderungen an die Pflegekräfte. Dazu komme, dass die gestiegenen Personalkosten wegen der seit Juli geltenden Tarifneuregelung nicht refinanziert werden. Besonders schlimm findet Lehn die zeitaufwendige Bürokratie: „Wenn ein Formular wegfällt, kommen drei hinzu.“ Ohne Rückenwind vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) wäre das alles nicht zu stemmen. Mehr als 13 000 Einrichtungen sind in diesem bundesweit organisiert. „Wir kämpfen nicht nur für eine bessere finanzielle Ausstattung“, sagt Magnus Hanzel, sondern generell gegen den Rückbau pflegerischer Versorgungsstrukturen. Dazu gehört auch der Einsatz für eine schnellere Anerkennung von ausländischen Fachkräften. Der Landesbeauftragte weiß, dass Wohngemeinschaften für Intensivpflegebedürftige einen ganz besonderen Bedarf haben, denn dort sollen die Menschen nicht nur medizinisch versorgt werden, sondern vor allem zurück ins Leben finden. Dem Landtagsabgeordneten Köhler, der nach dem Abitur zwei Jahre Freiwilligendienst in der Behindertenhilfe geleistet hat, war bei seinem Besuch aber nicht nur das Gespräch über die Herausforderungen wichtig: Unter Anleitung von Intensivpfleger Mike Wagner half er einem Patienten beim morgendlichen Pflegeprozedere. Der Tagesablauf läuft hier nicht nach „Schema F“, sondern sehr individuell: Wer eine schwierige Nacht hatte, darf gern etwas länger liegen bleiben. Weil Teilhabe wichtig ist, sitzen die Patienten immer gemeinsam am Tisch, auch wenn einige über eine Sonde ernährt werden müssen. Die Mitarbeiter nehmen Rücksicht auf Vorlieben, sind in engem Kontakt mit den Angehörigen und beraten – auch wenn das nicht zu ihren Aufgaben gehört – bei Bedarf auch hinsichtlich Leistungsansprüchen. Refinanzierung der tatsächlichen Kosten, weniger Bürokratie und Ausbau von lokalen Beratungsstellen: „Da sind noch dicke Bretter zu bohren“, weiß Köhler. Zwar besuche er jedes Jahr Pflegeeinrichtungen hätte aber noch nie selbst mit anpacken dürfen. Das sei eine sehr intensive Erfahrung gewesen, die ihm einen „Riesenrespekt“ vor dem Patienten, aber auch vor der Arbeit der Mitarbeiter abverlange. Um es für beide Seiten leichter zu machen und etwas zu verändern, gelte es jetzt dranzubleiben. Köhler verspricht: „Ich werde die Problematik mit Manne Lucha (dem Sozialminister von Baden-Württemberg) besprechen.“